Autorität: die zwiespältige Macht, Erwartungen erfüllen zu müssen
Meine These ganz zu Beginn: Häufig meinen wir, wenn wir von Führung sprechen, gar nicht Führung – sondern Autorität. Deswegen widmet sich dieser erste Teil der Serie der Autorität.
Was ist Autorität? Autorität ist eine Rolle in einem sozialen System. Eine Gruppe von Menschen („die Autorisierer“) gibt einer Person („der Autorität“) Macht oder auch Vertrauen – und erwartet im Gegenzug dafür bestimmte Dienste. Zu den Diensten, die Autoritäten häufig erbringen müssen gehören: Schutz. Anleitung und Orientierung. Ordnung. Repräsentation.
Zwischen Autorisieren und Autorität besteht demnach ein sensibles Beziehungsverhältnis. Autoritäten sind häufig sehr darauf bedacht (und damit beschäftigt), die erwünschten Dienste zu erbringen. Denn wenn sie dies nicht tun, entziehen die Autorisierer das geschenkte Vertrauen oder die erteilte Macht. Man denke an die Genauigkeit, mit der Politiker ihre Umfragewerte studieren, aber auch an die Bedeutung von 360-Grad-Feedbacks für Manager.
Autorität kann eine nützliche Art sein, die Zusammenarbeit und das Zusammenleben von Gruppen zu organisieren. Zweifelsohne lässt sich das Beziehungsverhältnis „Macht und Vertrauen für Autoritätsdienste“ missbrauchen. Viele von uns haben selbst die Erfahrung gemacht, dass Menschen in Autoritätsrollen nicht sorgsam mit dem ihnen geschenkten Vertrauen umgegangen sind. Kein Wunder, dass viele Menschen argwöhnisch werden, wenn es um Autorität geht. Unsere persönlichen Erfahrungen prägen somit unser Verhältnis zu Autorität.
In unseren Trainings setze ich häufig eine Übung ein, bei der ich als Trainerin in der Autoritätsrolle für eine bestimmte Zeit Autoritätsdienste unterlasse. Ich gebe der Gruppe eine Aufgabe und setze mich dann hin und sage nichts mehr, gebe auch nonverbal keinerlei Orientierung. Das erzeugt in der Gruppe sofort Unruhe und Unbehagen, gar Ärger. Denn die Teilnehmenden erwarten für das Vertrauen, das sie mir schenken, dass ich sie schütze, anleite und für Ordnung sorge. So wird im Hier-und-Jetzt das Bedürfnis nach „guter“ Autorität deutlich und erlebbar.
Autorität ist etwas, was verliehen werden kann, etwa durch ein Amt, eine Stellenbeschreibung, eine Wahl oder einen Titel. Diese Form von Autorität bezeichnen wir als formell. Einmal verliehen, bleibt formelle Autorität uns einige Zeit stabil erhalten – so lange wie wir das Amt bekleiden oder die Position innehaben.
Informelle Autorität wird hingegen verdient, etwa durch Expertise, die wir zu einem Thema haben, durch unsere Erfahrung, Seniorität, Glaubwürdigkeit oder Beliebtheit. Da unsere Autorisierer immer wieder neu darüber urteilen, unterliegt informelle Autorität wesentlich größeren und kurzlebigeren Schwankungen als formelle Autorität.
Zwei Beispiele:
Im Facebook-Konzern ist Mark Zuckerberg die höchste formelle Autorität. Sein Vorstand erwartet von ihm, dass er die allgemeine Richtung und Produktstrategie des Unternehmens entwickelt. Als Facebook Nutzerin bestimmte ich wiederum seine informelle Autorität mit – je nachdem, ob ich glaube, dass Facebook die Daten, die ich zur Verfügung stelle, schützt oder nicht.
Greta Thunberg: Die 16-jährige Schülerin und Klima-Aktivisten hat keine formelle Autorität, denn sie bekleidet kein formales Amt. Dass viele Menschen sich an ihr orientieren ist vielmehr darauf zurück zu führen, dass sie sich durch Repräsentation Autorität verdient, also informell. Die Greta-Anhänger, beispielsweise die vielen Schülerinnen und Schüler, die wöchentlich die Fridays-for-Future Demos besuchen, schreiben ihr eine hohe informelle Autorität zu, denn Greta erbringt einen Dienst der Repräsentation.
Was bedeutet all das nun für deine Arbeit?
In Hinblick auf dein Umfeld (z.B. deine Arbeit) kannst du dich fragen, wie es um deine formelle Autorität steht. Wer verleiht dir formelle Autorität und welche Dienste werden im Gegenzug erwartet? In Hinblick auf deine informelle Autorität kannst du dich fragen, bei welchen Menschen du Vertrauen und Ansehen genießt und welche dich kritisch sehen – und weshalb.
Aber welche Implikationen hat das nun für dein Handeln? Ist es immer besser, mehr Autorität zu haben? Und was hat all das mit Führung zu tun? Dazu demnächst mehr im 2. Teil der Serie.