Warum du mit und ohne Autorität führen kannst

In Teil 2 der Blogpost-Serie habe ich erklärt, dass Führung bedeutet Veränderung zu gestalten. Beim Führen geht es darum, andere Menschen zu mobilisieren, damit sie sich ihrer gemeinsamen Probleme annehmen und ihr Verhalten oder ihre Einstellungen verändern, um Fortschritte zu erzielen. Wenn man so führt, nämlich Führung als Aktivität begreift, wird deutlich: Führen kann ich sowohl wenn ich in einer Gruppe viel als auch wenn ich sehr wenig Autorität habe. Beides birgt Vor- und Nachteile:

Wenn ich viel formale Autorität habe, dann bin ich womöglich die Chefin, die Teamleitung, der Moderator oder auch die Bundeskanzlerin.

  • Aus so einer Rolle heraus zu führen, bringt bestimmte Vorteile mit sich. Zum einen Aufmerksamkeit: Wenn ich zu einem Meeting einlade, kommen die Menschen; wenn ich eine Rede halte, hört man mir zu. Ich habe also die Möglichkeit, Aufmerksamkeit auf die gemeinsamen Probleme zu lenken. Zudem habe ich mit höherer Wahrscheinlichkeit Ressourcen zur Verfügung, die mir helfen, die betroffenen Menschen ins Problemlösen und Lernen zu bringen. Ein Beispiel: Ich kann Arbeitsgruppen einrichten, in denen wir als Team oder Belegschaft an unserem Problem bearbeiten. 

  • Der große Nachteil, den ich in so einer Rolle habe, ist dass die Menschen von mir, der Chefin, erwarten, dass ich ihre Probleme löse – und nicht, dass ich die Arbeit an sie zurückgebe. Deswegen bist du ja schließlich Chef, werden sie mir sagen. Wenn ich von Menschen erwarte, dass sie Neues lernen oder Verluste verkraften oder ich bestehende Werte in Frage stelle, wird das viele nicht erfreuen. Als Chefin zu führen, also Veränderung voranzutreiben, ist daher ein Balanceakt zwischen dem Erfüllen und dem Enttäuschen von Erwartungen.

In meiner Arbeit als Führungskräftetrainerin und Coach erlebe ich häufig, dass alle annehmen, man könne nur aus einer Rolle mit viel formaler Autorität führen – oder zumindest, dass das viel einfacher ist. Da möchte ich vehement widersprechen! Führung ist aus einer Position mit geringer formaler Autorität sehr gut möglich. Typische Beispiele solcher Rollen sind: Die Aktivistin, der Whisteblower, oder auch – ganz banal – die neue Kollegin oder der Praktikant.

  • Zunächst die Nachteile: Ich habe wenig Aufmerksamkeit und beschränkte oder gar keine Ressourcen. Es hören mir nur wenige Menschen zu. Vielleicht werde ich gar als Störenfried abgetan. Oder es heißt als Replik auf meine Vorschläge, das habe man alles schon mal versucht. Entmutigt? Das solltest du keineswegs sein. 

  • Denn deine Situation bringt durchaus auch Vorteile mit sich: Geringe formale Autorität bedeutet, dass die Menschen nicht unmittelbar von dir erwarten, dass du ihre Probleme löst. Dadurch kann es viel einfacher sein, den Finger in die Wunde zu legen und Probleme anzusprechen. Zugleich hat man womöglich weniger Verantwortung für andere (etwa für den Unternehmenserfolg oder die Zufriedenheit eigenen Mitarbeiter) und damit weniger zu verlieren. Das ermöglicht dir eine bestimmte „Narrenfreiheit“, die natürlich Mut erfordert, aber eine große Chance birgt.

Wenn wir an das Beispiel Klimawandel denken, sehen wir, wie sich sowohl für Greta Thunberg (mit sehr geringer formaler Autorität) und Angela Merkel (mit einer vergleichsweise hohen formalen Autorität) Chancen für Führung auftun: Angela Merkel sagt beim digitalen UNO Klimagipfel (Dezember 2020) 500 Millionen Euro für die Klimaschutzmaßnahmen ärmerer Länder zu und erklärt, dass Deutschland die Zusage einhalten werde, die Klimafinanzierung zu verdoppeln. Greta Thunberg nutzt die Aufmerksamkeit, die sie sich trotz geringer formaler Autorität erarbeitet hat um auf Twitter die Ergebnisse des Gipfels als unzureichend zu kritisieren: „Beim Climate Ambition Summit feiern Anführer ihre schamlosen Schlupflöcher, leeren Worte, unzureichenden Fernziele und den Raub heutiger und künftiger Lebensbedingungen – und nennen es „Ehrgeiz“. Es gibt keine Klima-Anführer. Die einzigen, die das ändern können, seid ihr und ich. Zusammen.“

Weg von der Weltpolitik und hin zum „banalen“ Arbeitsalltag: Wie kann Führung mit geringer formaler Autorität im Unternehmen aussehen? Ein Beispiel aus unserem Unternehmen, KONU: Unser Team wächst erfreulicherweise. Deswegen gibt es immer wieder erstmals zusammengesetzte Projektteams. Einer unserer Partner hat vor Kurzem ein wöchentliches Teammeeting eingeführt, um das wachsende Team in den Austausch zu bringen. Soweit nichts Ungewöhnliches. Häufig entscheiden im nächsten Schritt auch die Führungskräfte, wie das Meeting abläuft und was dort besprochen wird.

Bei uns kam es anders: Schon im zweiten Meeting meldeten sich drei Team-Mitglieder mit dem Wunsch, einen Fall zur Beratung einzubringen: In einem Projekt hatte es in der internen Zusammenarbeit geknirscht: Die einen fanden, dass die Vorbereitung zu kurzfristig und zu oberflächlich gewesen sei, angesichts der vielen Innovationen, die in den Workshop eingebracht wurden. Die anderen fanden, es habe wunderbar funktioniert: Das Ergebnis sei ja großartig und der Kunde sehr zufrieden gewesen. Die Team-Mitglieder begriffen, dass diese Spannung zwischen Innovation und Standardisierung symptomatisch ist für unser wachsendes Unternehmen. Daher schlugen sie vor, das Fallbeispiel in größerer Runde beleuchten und bearbeiten. Das erforderte auch Mut: Die Mitarbeitenden legten freiwillig und auch gegenüber den Führungskräften offen, was nicht gelungen war und gaben für die gesamte Organisation Denkanstöße, wie dies zukünftig verhindert werden könnte. Zugleich setzen die Mitarbeiter*innen durch ihre Initiative den Standard dafür, was in Team-Meetings besprochen wird (nämlich auch das Unbequeme!) und befördern bei uns eine Lernkultur.

Ihr seht: Everyone can lead. Nur Mut!

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