Warum Führungskräfteentwicklung neu gedacht werden muss
Wiederkehrende Probleme, unlösbare Fragen, komplexe Systeme: Das sind nur einige Begriffe, die unsere derzeitige globale - und lokale - Realität beschreiben. Wie können Führungskräfte dieser schwindelerregenden neuen Normalität gerecht werden und handlungsfähig bleiben? An Angeboten zur Führungskräfteentwicklung mangelt es nicht: Seminare, Executive Education Kurse, Online-Kurse gibt es zuhauf. Und doch bleibt die Frage: Wie sehr bereiten diese Angebote uns darauf vor, die Herausforderungen der modernen Welt zu meistern?
Bei KONU sind wir der Meinung, dass sich wirkungsvolle Führungskräfteentwicklung durch drei Merkmale auszeichnet. Wirkungsvolle Führungskräfteentwicklung ist
1. entwicklungsorientiert,
3. und darf riskant sein.
Dieser Blogpost ist Teil 1 einer dreiteiligen Serie, in der diese Merkmale gelungener Führungskräfteentwicklung näher vorgestellt werden.
Teil 1: Warum Führungskräfteentwicklung entwicklungsorientiert sein muss
Was wir über Wissen (und Wachsen) wissen
Erinnern Sie sich an Ihren Kindheitstraum, an das, was Sie später einmal werden wollten? Wollten Sie Feuerwehrmann/-frau, Meeresbiolog:in oder "Chef:in" werden? Vermutlich sind Sie davon ausgegangen, dass es einen geradlinigen Weg zu diesem Ziel gibt: Sie würden die Schule abschließen, alles darüber lernen, wie man den gewünschten Beruf ausübt – sei es durch eine Ausbildung oder ein Studium – , und dann wären Sie fertig. Dieser Denkweise liegt eine lineare Sichtweise auf Entwicklung zugrunde: Wachstum und Entwicklung höre auf, wenn wir, wortwörtlich, „erwachsen“ sind. Bis Mitte der 1980er Jahre ging man auch in der Wissenschaft davon aus, dass es einen „Schlusspunkt“ bzw. eine „Obergrenze“ für die mentale Entwicklung Erwachsener gibt, genauso wie das für das körperliche Wachstum ja zutrifft.
Doch entspricht dies ihrer Erfahrung als Erwachsener in der Arbeitswelt? Sind Sie mit dem Lernen und mit ihrer Entwicklung fertig? Vermutlich nicht.
Robert Kegan und Lisa Lahey (1984) haben in ihrer bahnbrechenden Studie über die Entwicklungsstufen des Selbst (siehe Bild) die bisherige Sichtweise auf Erwachsenenentwicklung auf den Kopf gestellt. Demnach hört die mentale Entwicklung Erwachsener nicht auf. Vielmehr können auch Erwachsenen Entwicklungsstufen durchlaufen. Mit jeder weiteren Stufe der Ich-Entwicklung entwickelt sich die Fähigkeit, Komplexität zu erkennen und zu bewältigen weiter („Orders of Mind").
Das Modell unterscheidet bei Erwachsenen zwischen
Zwischenmenschlicher Orientierung, dem „socialized mind“: ich denke und handle auf Grundlage der Normen und Überzeugungen der Gemeinschaften, zu denen ich gehöre (Stufe 3),
Sich selbst autorisierende Orientierung, dem „self-authoring mind“: ich bin in der Lage, mich von meiner Gemeinschaft abzugrenzen, ich erzähle meine eigene Geschichte und sehe die Welt durch die Linse meiner Werte, meines Glaubens und meiner Überzeugungen (Stufe 4), und
Selbst-transformierende Orientierung, dem „self-transforming mind“: ich bin in der Lage, zurückzutreten und zu erkennen, dass meine Realität nur ein Teil ist und dass es kein vollständiges System, keinen Glauben und keine Wahrheit gibt (Stufe 5).
Wenn Entwicklung stattfindet, verändert sich die Subjekt-Objekt-Beziehung, d.h. es verändert sich inwiefern ich meiner Sichtweise und den damit verbundenen Gefühlen ausgeliefert, mit ihnen verschmolzen bin und dadurch in meiner Handlungsweise festgefahren bin. Ich „bin diese Realität“ im Gegensatz zu ich „habe diese Sichtweise“. Im Laufe der Entwicklung kann ich zunehmend häufiger und unangestrengter meine eigene Sichtweise als solche erkennen und sie objektiveren. Ich kann meine eigene Sichtweise „wie von außen sehen“ und von verschiedenen Seiten betrachten. Das wiederum ermöglicht mir mein Verhalten bewusster und flexibler zu steuern.
Wie Sie sehen können, befinden sich die meisten Erwachsenen (80 %) in oder zwischen der Entwicklungsstufe 3 und 4.
Bezug zu mir selbst: Das eigene Bauchgefühl
Was machen diese Stufen mit Ihnen? Fühlen Sie sich befreit, weil Sie wissen, dass sie sich auch als Erwachsener persönlich weiterentwickeln können? Wenn Sie mit Ihrem inneren Feuerwehrmann, der inneren Meeresbiologin, der inneren Chefin in Kontakt treten - können Sie ihm oder ihr etwas Gnade gewähren und fühlen Sie eine gewisse Erleichterung, weil Sie verstehen, dass auch er oder sie nach Abschluss von Ausbildung und Studium nicht „fertig“ sein müssen? Oder fühlen Sie sich etwas beunruhigt mit Blick auf die Stufen, vielleicht weil sie sich fragen, auf welcher Stufe Sie sich wohl befinden und zugleich rätseln, ob Ihr Job und Umfeld etwas anderes (höheres?) von Ihnen verlangt?
Warum Entwicklung wichtig ist
Kurzum: Jede Entwicklungsstufe bringt Stärken und Schwächen mit sich. „Höher“ meint nicht unbedingt „besser“. Zugleich ermöglicht uns ein höherer Entwicklungsgrad einen besseren Umgang mit Komplexität. Und die heutige Welt ist komplexer als noch vor 50 oder 60 Jahren. Das Informationszeitalter, die Globalisierung, das atemberaubende Tempo technologischer Innovation – all das überfordert häufig unser Jäger- und Sammlergehirn, das sich nach einfacheren Zeiten zurücksehnt.
Je komplexer die Herausforderungen werden, mit denen wir als Manager:innen und Change Agents konfrontiert sind, desto größer ist der Druck – und auch die Versuchung – schnelle und einfache Lösungen zu präsentieren. Diese mögen für eine gewisse Zeit ausreichen, um ein Problem zu besänftigen, aber die Komplexität bleibt bestehen und das Problem wird wiederkehren. Um Fortschritte bei komplexen Problemen zu erzielen, müssen wir unsere Fähigkeit entwickeln, mit Komplexität umzugehen. Das gilt umso mehr, je höher unsere formale Rolle in der Organisationshierarchie ist. Denn eine Organisation kann als Ganzes, als Kultur nur so konstruktiv mit Komplexität umgehen wie es durch das oberste Management vorgelebt wird. Oder andersrum: Je weniger die Führungskräfte in der Lage sind Komplexität auszuhalten und scheinbare Gegensätze zu integrieren, desto weniger wird die Organisation als Ganzes das schaffen.
Nehmen wir eine Hochschulleitung: Wie kann sie ihre Universität zu einer führenden Innovationseinrichtung zu machen und gleichzeitig knappe Haushaltsmittel verwalten? Wie kann sie Studierende dazu inspirieren, sich den „neuen“ Herausforderungen der Welt zu stellen, und gleichzeitig anerkennen, dass sie selbst keine Antworten auf diese Herausforderungen hat, vielleicht sogar (Stichwort Klima) selbst dazu beigetragen hat?
Ein Weg nach vorn: Führungskräfteentwicklung entwicklungsorientiert gestalten
Wie kommen wir also dahin?
Die traditionelle ("horizontale") Führungsentwicklung ist immer noch stark in der linearen Entwicklungsdenke verhaftet. Folgende Metapher illustriert den Unterschied: Horizontale Führungskräfteentwicklung ist wie ein App Store bei dem es gilt, neue Apps „auf die Führungskraft“ herunterzuladen: Verhandlungsstrategie, Rhetorik, Auftrittssicherheit usw. Irgendwann sind alle wichtigen Apps heruntergeladen und die Speicherkapazität ist erreicht. Bei „vertikaler“ Führungskräfteentwicklung geht es nicht um die neue App, sondern um das Betriebssystem des Mobiltelefons: Das Betriebssystem wird aufgerüstet, damit das gesamte Mobilgerät eine höhere Kapazität hat und die einzelnen Apps besser laufen.
Ein Beispiel: Viele Feedback-Trainings (eine weitere “App” in der horizontalen Führungskräfteentwicklung) laufen ins Leere, weil Teilnehmende zwar Feedback-Techniken lernen, sich dann aber scheuen, kritisches Feedback zu geben. Erst die Auseinandersetzung mit eigenen reaktiven Verhaltensmustern und zugrundeliegenden Annahmen (z.B. „wenn ich kritisches Feedback gebe, enttäusche ich und werde nicht mehr gemocht“), ermöglichen es mir, neues Verhalten zu erlernen.
Bei KONU gestalten wir gemeinsam mit unseren Klient:innen Entwicklungsreisen, bei denen vertikale Entwicklung im Mittelpunkt steht. Wir begleiten Sie, Ihr Team und Ihre Organisation dabei, Entwicklungsbedarfe zu identifizieren und den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen. Stellen Sie sich vor, ein Team in einem großen Unternehmen steckt in einem Handlungsmuster fest, bei dem es um Recht-haben geht. Oft ringen verschiedene Teammitglieder darum, die beste Lösung, Strategie oder den besten Prozess zu haben. Dieses Muster hilft dem Team, wenn es Routineaufgaben und bekannte Probleme bearbeiten muss – es hat immer eine Lösung parat und kann diese sehr gut argumentieren. Das Muster behindert das Team jedoch, wenn es mit komplexeren Problemen konfrontiert ist und zur Problemlösung teamübergreifend zusammenarbeiten muss. Hier gilt es die Teamkultur zu entwickeln: Weg vom Modus „Rechthaben – Meine Sicht ist die Richtige“, hin zum Modus „Neugierige Offenheit – Was kann ich von den anderen lernen?“.
Um Bedarfe in der Führungskräfteentwicklung zu identifizieren, stützen wir uns bei unserer Arbeit auf Instrumente, denen wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse aus der Erwachsenenentwicklung zugrunde liegen. Ein Beispiel ist das Leadership Circle Profile (LCP), ein 360-Grad-Feedback-Tool, das Ihnen hilft, einschränkende Denk- und Handlungsmuster aufzudecken und kreativere Kompetenzen zu entwickeln. Für Teams und Organisationen bieten wir auch eine kollektive Version des LCP an, um die kollektive Fähigkeit im Umgang mit Komplexität zu stärken. Mit diesem entwicklungsorientierten Ansatz zur Entwicklung von Führungskräften und -teams, hat Ihre Reise - die Reise, die Sie mit dem gedanklichen Feuerwehrmann, der inneren Meeresbiologin oder dem Ziel „Chef:in“ starteten und die Sie zum jetzigen Moment geführt hat - eine Richtung nach vorne, hin zu nachhaltigerem Fortschritt.
Teil 2 (folgt demnächst) dieser Blog-Serie befasst sich dann mit der Frage, warum wirkungsvolle Führungskräfteentwicklung erfahrungsorientiert ist.